Liebe ist ... wertgebend
Die meisten haben schon einmal wegen temporärer Einfallslosigkeit sich von Sprüchen inspirieren lassen, um den Zeilen an ihre Lieben das gewisse Etwas zu verleihen. Dabei stolpert man auf Aussaggen wie:
„Liebe ist wie eine Droge, entweder sie zeigt dir das Paradies oder sie bringt dich um.“
„Liebe ist wie wandern. Wer den Gipfel besteigen will, muss auch die Täler durchwandern!“
„Liebe ist niemals ohne Schmerzen" sagte der Hase und umarmte den Igel.“
„Liebe ist das einzige Märchen, das nicht mit "Es war einmal" beginnt, sondern damit endet.“[1]
Man soll seine Gefühle gleich setzen mit Suchtmitteln, mit denen man umgehen können sollte, da sich sonst Abhängigkeiten einstellen könnten. Sie tut nicht nur Gutes, sie bringt genau wie alle Dinge im Leben Höhen und Tiefen mit sich, die eben dazugehören und die man akzeptieren muss. Liebe ist im Endeffekt begrenzt und nur vorübergehend; eine Zeit, auf die man in den meisten Fällen wohl gerne zurückschaut.
Aus seiner eigenen Erfahrung können die meisten wohl diese Einschätzung bejahen, jedem fallen auf Anhieb genügend Erlebnisse ein, bei denen sich die Liebes-Beziehung auf eine ähnliche Art abgespielt hat. Doch viele erkennen auch darin die damit verbundenen Schmerzen, die zu den enttäuschendsten Momenten im Leben gehören. Momente, für die auf der Suche nach Gründen immer noch keine Antwort gefunden und die bis zum heutigen Tag nicht verarbeitet werden konnten. Enttäuscht von Umständen, von Personen, von dem was einem versprochen wurde, von den eigenen Vorstellungen, von sich selbst. Schließlich ist man vom Leben ernüchtert und findet sich mit der Situation ab. Dabei werden viele immer vorsichtiger, was das Eingehen von neuen Beziehungen angeht, um künftig weitere Schmerzen zu vermeiden.
Zielscheibe aller Überlegungen
Schon immer wurde über die wohl stärkste Kraft im menschlichen Leben nachgedacht und philosophiert. Oftmals wird der Liebe die Stellung, das Endziel allen menschlichen Lebens zu sein, zugeschrieben und jeder Denker, der sich an ganzheitlichen Ansätzen versucht hat, entwickelte seine eigene Theorie und Hilfestellungen, die er der Menschheit durch sein Lebenswerk vermitteln möchte. Viele Überlegungen gipfeln letztlich in einer Erklärung der „Liebe“, sei es in den Weltreligionen oder bei den großen säkularen Philosophen der einzelnen Epochen.
Auch völlig banale Fragen beschäftigen die Menschen: Wovon hängt es ab, ob und in wen ich mich spontan verliebe? Wer ist der Richtige? Wann erkenne ich, ob es nur Verliebtheit ist – oder tatsächlich richtige Liebe?[2] Und warum kommt es zu Trennungen und warum sind sie mit so manchmal so starken Schmerzen verbunden? Wo und wie beginnt sie und was führt zu ihrem Verblühen?
Per definitionem
Gemäß dem historischen Wörterbuch der Philosophie wird der Begriff Liebe auf folgende Weise definiert:
- die einheitsstiftenden Beziehungen zwischen beseelten oder als beseelt gedachten Wesen. Sie ist daher mit Freundschaft verwandt;
- die empfundene, auf solche Vereinigung hinwirkende Kraft. Sie ist daher verwandt mit Begehren, Verlangen und Erstreben.“[3]
Demnach werden die Beziehungen als Liebe bezeichnet, die zu einer Einheit beitragen und was den die freundschaftlichen Aspekte hervorhebt. Sie kann also nicht allein bestehen, sondern benötigt ein Gegenüber. Sie ist auch die Kraft selbst, die auf eine solche Einheit hinwirkt, mit einer verlangenden und begehrenden Ausrichtung.
Im Duden der deutschen Rechtschreibung wird genauso der Aspekt des „starken Gefühl des Hingezogenseins oder der Zuneigung“ sowie die Bindung, die „auf starker körperlicher, geistiger, seelischer Anziehung beruht und verbunden ist mit dem Wunsch des Zusammenseins“ genannt. Weiter gefasst kann der Begriff auch gegenständlich angewendet werden wie z. B. in Ausdrücken wie „der Liebe zum Detail“. Neben dem Gefühl und der Anziehung kann der Begriff auch das Handeln selbst beschreiben wie z. B. in dem man „jemandem eine Liebe erweist“ oder der „käuflichen Liebe“.[4]
Neben der Vielzahl an Ausdrucksformen für die menschlichen Gefühle und Interaktionen ist „Liebe in jedem Fall eine Bezeichnung für stärkste Zuneigung und Wertschätzung.“[5]
Was Holzspieße über Beziehungen offenbaren
Wie kann sich dieses verbindende, einende und erfüllende Gefühl nun in den Beziehungen entfalten? Die Therapeutin Mira Mühlendorf versucht es vereinfacht darzustellen, indem sie die Liebe in drei grundlegende Zustände einordnet. Dabei illustriert sie die liebende Verbindung von zwei Personen durch das Halten eines Schaschlikspießes zwischen ihren beiden Zeigefingern. Zum einen gibt es Beziehungen, in denen beide miteinander durch das Leben gehen und sich in alle möglichen Richtungen dynamisch bewegen. Das ist der Idealzustand, da hier beide harmonisch und ausbalanciert auf die jeweiligen Situationen reagieren. Die zweite Kategorie ist eher geprägt von einem Nebeneinander, bei dem beide auf ein Ziel ausgerichtet sind und sich entweder nach vorne oder zurück bewegen; hierbei steht die Zielausrichtung im Vordergrund, was die Gefahr birgt, dass die Bedürfnisse des Einzelnen möglicherweise nicht genug beachtet werden.
Bei der dritten Kategorie arbeiten ein oder beide Glieder gegeneinander, was durch die Natur der Verbindung, deren Enden spitz sind, unweigerlich zu Schmerzen führt. Für ein dauerhaftes Bestehen muss die Verbindung ausbalanciert sein und auf Richtungswechsel des einen oder anderen Teils geschickt reagieren, sonst wird entweder ein übermäßig belastender Zustand erzeugt oder die Beziehung droht aufgrund des fehlenden Kontakts auseinanderzubrechen. Die Art der Beziehung ist also von den Zielen der beiden Partner sowie von dem Verhalten gegenüber den Bedürfnissen des anderen abhängig.
Der Kopf denkt nie allein[7]
Jeder kennt den Begriff der „platonischen Liebe“, welche im modernen Sprachgebrauch normalerweise die Bezeichnung einer Freundschaft ausdrückt, bei die beteiligten Personen jedoch kein sexuelles Interesse aneinander haben. Platon, der von 427 -348 v. Chr. lebte, wollte damit eigentlich etwas anderes ausdrücken. Er „sieht in der Liebe (Eros) ein Streben des Liebenden, das diesen stets vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Vereinzelten zum Umfassenden führen soll. Das geschieht der platonischen Theorie zufolge, wenn der Liebende Philosoph ist oder wird und als solcher auf eine von Platon beschriebene Weise mit der Liebe umgeht. Der im Sinne Platons Liebende wählt bewusst einen philosophischen Weg, der ihn zu immer höheren Erkenntnissen führen soll. (…) Dabei erweist sich schließlich die allgemeinste auf diesem Weg erreichbare Wirklichkeit, die Platon als das Schöne an sich bestimmt, als das würdigste Objekt. Dort endet die Suche des Liebenden, denn erst dort findet er nach dieser Lehre vollkommene Erfüllung seines Strebens.“[8]
Was einer sucht, das hat er nicht: nun sucht die Liebe das Schöne und Gute; also hat sie solche nicht.[9]
Gemäß dieser Beschreibung wohnt der Liebe ein inhärentes Streben inne, das auf das Schöne und Gute ausgerichtet ist und letztlich einen allumfassenden Zustand zum Ziel hat. Durch das ständige danach Streben beweist der Mensch, dass er dieses Ziel noch nicht oder nicht im gewünschten Umfang erreicht hat.
Der griechische Philosoph Aristoteles stellte sich einmal die Frage, „ob es besser sei, dass ein Mensch sich selbst am meisten liebe, oder ob es besser sei, andere zu lieben“. Er präsentierte eine einzigartige Vision von Selbstsucht und ihrer engen Beziehung zur Selbstliebe, die er in seinem Werk „Nikomachische Ethik“ darstellte. Getreu dem Motto „du bist dein eigener bester Freund“ fragte er sich, ob es egoistisch sei, sich selbst zu lieben? Er sah in dem selbstsüchtigen Handeln der Menschen zwei grundlegende Bedeutungen. Die erste Form der Selbstsucht war die Sorge nach dem leiblichen Wohl. Wenn diese dazu führt, dass der materielle Besitz nur für die Erfüllung der eigenen Wünsche angehäuft wurde, sah er darin eine schädliche Einstellung.
„Der Begriff der Selbstliebe kann der Kritik dienen, wenn ein Mensch mehr Geld, Ehre und körperliches Vergnügen nimmt, als ihm zusteht, denn in diesem Fall nährt er seinen tierischen Appetit und den irrationalen Teil seiner Natur.“
Er meinte, dass auch jene Menschen selbstsüchtig seien, die auf höchstem Niveau von Gerechtigkeit und Weisheit geleitet seien. Dieser sei der selbstsüchtigste von allen, wobei diese Selbstsucht nicht als schädlich, sondern als nobel einzuschätzen sei. Das ist die zweite Kategorie von Selbstsucht und aufgrund der ehrbaren Ziele kann man diesen Personen keine Vorwürfe machen. Sie konzentrieren sich auf die Übung in der Tugend, weil dort die Freude zu finden sei. Für den griechischen Philosophen war die Tugend das höchste aller Ideale, denn ein Mensch, der diesen entgegenstrebt, würde im Gegensatz zu einem schlechten Menschen diese nicht rein als Pflichtbewusstsein und seiner eigenen Natur entgegenstrebend tun.
„Der tugendhafte Mensch wird viele Dinge im Namen seiner Freunde und seiner Heimat tun.“[10]
Auch Thomas von Aquin hatte von der Liebe die Vorstellung, dass diese immer auf das Gute ausgerichtet ist. Er betont jedoch gleichzeitig den Aspekt der Freiwilligkeit:
"Die Liebe ist das Wohlgefallen am Guten; das Gute ist der einzige Grund der Liebe."
"Das, was wir aus Liebe tun, tun wir im höchsten Grad freiwillig."[11]
Immanuel Kant vergleicht sie mit Gesetzen, die vom Grunde her für die Erhaltung der Ordnung und Einhaltung von moralischen Prinzipien und damit der Unversehrtheit und Wahrung des freien Willens geschaffen werden:
„Das höchste, für Menschen nie völlig erreichbare, Ziel der moralischen Vollkommenheit endlicher Geschöpfe ist aber die Liebe des Gesetzes.“[12]
Für Jean-Jacques Rousseau ist sie Ausdruck der eigenen Wünsche und Vorstellungen, die nicht nur auf der eigenen Natur basieren. Man muss Wert einen gewissen Wert besitzen, um geliebt werden zu können. Möchte man den Vorzug erhalten, muss man liebenswerter sein, was für Rivalität und Eifersucht bei anderen sorgen kann:
„Die Liebe kommt bei weitem nicht aus der Natur, sie ist vielmehr Regel und Zügel ihrer Neigungen; durch sie allein kommt es, dass, außer dem geliebten Gegenstand, das eine Geschlecht dem anderen nichts bedeutet.“ [13]
Auch das Erkennen sei zur Entstehung von Liebe notwendig.
"Die Liebe ist die Tochter der Erkenntnis; die Liebe ist umso glühender, je tiefer die Erkenntnis ist."[14]
Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, der Herr aber lenkt seine Schritte[15]
Im Buddhismus wird Liebe zuallererst als reines Gefühl gesehen, das einem anderen Lebewesen ganz selbstlos entgegengebracht wird. Zugleich verspürt der Liebende ein absolutes Wohlbefinden in dem Wissen, dass er niemandem Schmerz oder Leid zufügt, sondern dazu beiträgt, jemandem eine Freude zu bereiten.
„Wahre Liebe ist der Wunsch, das Glück aller Lebewesen gleichermaßen beizubehalten, ganz unabhängig davon, ob wir sie mögen oder nicht.“[16]
„Die positive Energie kann auf viele verschiedene Weisen gesteigert werden, aber am mächtigsten ist das Erschaffen von Liebe und Glauben, die aus der Energie der ursprünglichen Weisheit stammen. Wenn wir uns über den Glauben mit der weiten und tiefen Kontinuität des Geistes verbinden können, dann können die durch die Energie der ursprünglichen Weisheit erleuchteten inneren Qualitäten wachsen. Die Essenz der Liebe ist das Mitgefühl der erhabenen Wesen, die immer Energie geben.“[17]
Im Hinduismus erfordert das Idealbild von Liebe das Streben nach einer vollkommenen Wunschlosigkeit in Bezug auf sich selbst. Der Gott des Universums „Krishna“ bittet seine Wesen um nichts anderes als das Privileg, ihm zu dienen. Seine Geweihten folgen ihm nach und erhalten dadurch vollkommene Zufriedenheit, unabhängig von den äußeren Umständen. Die Liebe zu Gott ist das Wesen eines jeden geschaffenen Wesens und durch die Faszination, die von ihm ausgeht, wird die Liebe für ewige Zeiten anhalten.
Die Ziele der Menschen lassen sich in drei große Kategorien aufteilen. Sie suchen nach materiellem Genuss, was auch durch das Praktizieren von Religion zum Ausdruck gebracht werden kann. Die Menschen suchen nach Befreiung oder Erlösung von ihren leidvollen Umständen oder sie suchen nach Vollkommenheit in den mystischen oder feinstofflichen Kräften. Der wahrhaftig Gläubige erkennt allerdings, dass all dies auf materiellen, zeitweiligen und egoistischen Motiven beruht.
„Weil ein Geweihter Sri Krsnas wunschlos ist, ist er von Frieden erfüllt. Karmis wünschen sich materiellen Genuss, Jnanis wünschen sich Befreiung, und Yogis wünschen sich materielle Fertigkeiten; deshalb sind sie alle voller Lust und können keinen Frieden finden.“[18]
Ein Nachfolger, der den hingebungsvollen Dienst zu Gott anstrebt, ist von einem idealen Charakter geprägt. Er liebt alles in der Schöpfung Gottes, weil er versteht, was sie ihm bedeutet. Er sieht alle Lebewesen als Kinder Gottes an und versucht, einerseits so wenig wie möglich Schaden zu verursachen und sich andererseits um deren Wohlergehen und spirituelles Erwachen zu kümmern.
Der Weg zur völligen Bildung dieser Liebe führt über die Praxis des Bhakti-Yoga (= liebende Hingabe zu Gott). Er beinhaltet das Singen und Wiederholen von Gottes Namen sowie andere Dienste. Der Weg kann in mehrere Stufen eingeteilt werden, bei der der Gläubige mehr und mehr die Liebe zu „Krishna“ entdeckt und entwickelt. Über ein Anfangsvertrauen und die Gemeinschaft mit anderen Nachfolgern entwickelt sich ein hingebungsvoller Dienst. Sündhafte Neigungen verschwinden allmählich und es bildet sich eine Anhaftung und ein Geschmack für das Dienen, bis hin zur völligen Entfaltung zu Gott.[19]
Auch im Islam ist Liebe eng mit dem Wert, der eine Sache zu eigen ist, oder den Handlungen, die eine Person ausführt, verknüpft. Durch die Liebe, die man Gott entgegenbringt und das Ausführen entsprechender Taten ihm und seiner Schöpfung gegenüber, kann man der Liebe Gottes mehr und mehr teilhaftig werden.
„Die Fähigkeit zu lieben gehört zu den größten Geschenken unseres Herrn an seine Diener. Aus diesem Grunde sollte unsere Liebe immer Dingen gelten, die es wert sind, geliebt zu werden, und jenen Herzen zufliegen, die wissen, was wahre Freundschaft ist. Das Stadium der Liebe zu den Menschen und Geschöpfen dieser Welt ist dabei in Wirklichkeit nicht mehr als eine Stufe auf dem Weg zur Gottesliebe.
Der Wert jeder Liebe entspricht der Bedeutung und Vollkommenheit des Geliebten. Aus diesem Grund stellt die Liebe zum Propheten Mohammed den Höhepunkt menschlicher Liebe dar, denn es ist unmöglich, sich einen Menschen vorzustellen, der würdiger wäre, geliebt zu werden, als er.
Das Zeichen der Liebe zu Allāh und der Weg, der zu Seiner Liebe führt, bestehen darin, sich – nachdem man seine Aufgaben und Pflichten als Diener mit größtmöglicher Aufrichtigkeit und Sorgfalt erfüllt hat – darum zu bemühen, aus Liebe und Hingabe zu Allāh, voller Ehrerbietung, Zuwendung und Freude – über das, wozu man verpflichtet ist, hinaus – freiwillige gute Werke zu verrichten. Zielstrebig auf diesem Wege voranzuschreiten, bis man der Gottesliebe teilhaftig wird, ist der wahre Daseinszweck und Erschaffungsgrund der Menschheit. Das Ziel aller religiösen Pflichten im Islam besteht darin, das Wohlgefallen Allāhs, des Erhabenen, zu erlangen. Das wichtigste Mittel auf diesem Weg besteht darin, Allāh von ganzem Herzen zu lieben. Alle anderen Handlungen sind eigentlich weiter nichts als Ausdrucksformen dieser Liebe.“[20] [21]
Das Dämmern einer neuen Tags
Im Gegensatz zu den meisten anderen Sprachen, kennt die griechische Sprache mehrere Begriffe, um Liebe auszudrücken:
- Eros bezeichnet in der antiken griechischen Literatur und in der philosophischen Tradition eine unterschiedlich definierte und beschriebene Form starken Begehrens oder Verlangens, das den Menschen wie eine übermenschliche Macht zu ergreifen scheint und daher mythisch auf die Einwirkung der Gottheit Eros zurückgeführt wurde.[22]
- Philia ist eine Art der Liebe, bei der die freundschaftliche Beziehung zwischen den Liebenden im Vordergrund steht (gegenseitige Freundesliebe).[23]
- Storge bezeichnet eine Liebe, die sich auf Verwandtschaft oder Vertrautheit gründet.
- Agape bezeichnet eine göttliche oder von Gott inspirierte uneigennützige Liebe.
Diese letzte Form „agape“ wurde vor ca. 2000 Jahren von einer kleinen Gruppe von Männern aus Palästina eingeführt. Wenn sie über Liebe sprachen dann verwenden sie fast ausschließlich diesen Ausdruck. Im griechischen Sprachgebrauch wurde er bis dato eher selten genutzt, weil man im Allgemeinen davon ausging, dass „Eros“ die beste Beschreibung für die zwischen den Menschen vorkommende Liebe ist.
In der Antike gab es eine Geschichte, welche die damals erhabenste Vorstellung von Liebe veranschaulicht. Sie handelt von Admetus, einem edlen, schönen, jungen Mann, der mit allen guten Eigenschaften ausgestattet war. Er erkrankte an einem Leiden, das gemäß dem Orakelspruch der Götter tödlich enden würde, wenn nicht jemand gefunden werden könnte, der an seiner Stelle stirbt. Seine Freunde gingen zu vielen Leuten und fragten: „Wärst du bereit, für Admetus zu sterben?“ Alle stimmten zu, dass er ein wunderbarer junger Mann war, aber das würde leider noch nicht ausreichen, für ihn zu sterben. Seine Eltern wurden gefragt und sie sagten: „Wir lieben unseren Sohn, aber es tut uns leid, wir können nicht für ihn sterben.“ Schlussendlich fragten die Freunde Alcestis - das Mädchen, dass ihn liebte. „Ja“, sagte sie, „Weil er so ein guter Mensch ist, und weil die Welt ihn so braucht, deshalb bin ich bereit für ihn zu sterben.“ Die Philosophen lobten diese Einstellung in den höchsten Tönen: „Das ist Liebe – zu sterben für einen guten Mann.“ Nun war das noch nicht das Verständnis, das die Apostel von Liebe hatten. Die Griechen glaubten, dass die größte Form von Liebe darin besteht, wenn jemand sein Leben für seine Freunde hingibt. Man stelle sich den Schock vor, als die Christen des ersten Jahrhunderts ihnen sagten, dass das für sie nichts Besonderes sei und die größte Form der Liebe darin bestehe, sein Leben für seine Feinde hinzugeben.[24]
Mit Agape ist eine vollständig gütige und wohlwollende Liebe gemeint. Diese Liebe gibt, ohne dass der Empfänger irgendetwas tun muss, um sie sicherzustellen. Die wichtigsten Unterschiede zu der damaligen Vorstellung von perfekter menschlicher Liebe (Eros) können in dieser Weise beschrieben werden:
“Agape” wird oft “Eros” gegenübergestellt, von denen letztere im Neuen Testament nicht vorkommt, jedoch in der griechischen Philosophie sehr häufig auftaucht. Eros kann sich auf eine vulgäre, wollüstige Liebe beziehen, doch im Kontext hellenischen Gedankenguts nimmt sie die Form geistiger Liebe an, die danach strebt, das höchste Gut zu erlangen. Eros ist das Verlangen zu besitzen und genießen [der Bedarf oder das Verlangen nach jemand anderem]; Agape hingegen ist die Bereitschaft bedingungslos zu dienen… Eros wird von dem, was den größten Wert hat, angezogen [das Verlangen nach jemand Gleichgestelltem mit gleichem Status]; Agape streckt sich selbst nach dem Wertlosesten aus. Eros sucht nach Wert [sucht einen Gleichwertigen], während Agape Wert erschafft [gleichwertig macht]. Agape ist eine schenkende Liebe, während Eros eine verlangende Liebe darstellt. Eros entspringt einem Defizit, das ausgeglichen werden muss. Agape ist die überfließende Fülle göttlicher Gnade.[25]
Für diese kleine Gruppe war die Liebe, wie die Menschen sie damals verstanden und lebten, nicht etwas, was eine besondere Bedeutung verdiene. Sie wollten die Leute auf etwas anderes aufmerksam machen.
Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr dafür wohl verdient? Das machen auch die Zöllner. Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr damit Besonderes? Das tun auch die, die Gott nicht kennen.[26]
Sie sprachen von einer Liebe, die Wert in den anderen investiert, anstatt ihn zu fordern.[27] Einer Liebe, die freiwillig erwiesen wird und die wir dadurch erwidern, indem wir sie in der gleichen Weise an andere weitergeben und für sie leben.[28] Die einzige Bedingung, dass jemand sie erhalten kann und darf, besteht einzig in dem Glauben, dass sie ihm gilt und in der darauffolgenden Annahme.[29] Diese Liebe macht die Aufstellung jeglicher Gesetze zur Regelung des Zusammenlebens obsolet, da sie permanent auf das Wohl des anderen ausgerichtet ist.[30] Sie wird alles tun, um jegliches Leid und negative Konsequenzen zu vermeiden. Wo das nicht in ihrer Macht steht, gibt sie sich eher selbst auf und spendet jede letzte Kraft demjenigen, der ihrer Hilfe bedarf. Sie macht zwischen den Objekten, auf die sie gerichtet ist, keinen Unterschied oder wird deren Eigenschaften beeinflusst. Der Mensch hat, aus einem materiellen Blickwinkel und auf die Summe seiner Verbindungen chemischer Elemente reduziert, höchstens einen Wert, als das er durch ein Wunder der Natur sich von anderen materiellen Dingen unterscheidet. Den wirklichen Wert erhalten wir von denen, mit denen wir in Beziehung stehen. In deren Augen sind wir wertvoll, weil es uns gibt und das nicht aufgrund unserer materiellen Komplexität.
Die kleine Gruppe von Männern meinte, dass es diese Form von Liebe ist, die von dem Schöpfer ausgeht und uns unseren Wert gibt und uns damit verwandelt.[31]
Agape | Eros | |
Wesen | Steht allein, unabhängig und frei. | Bedürfnisorientiert, Wertorientiert im Außen |
Freies Geschenk. | Verlangend und sich verdienend. | |
Bedingungslos, unabhängig von Äußerlichkeiten, Gefühlen und Einstellungen. | Voraussetzung: Erfüllung von gewissen Eigenschaften, äußerlich, geistig und emotional. | |
Unveränderlich, unbeeinflussbar. | Veränderlich. | |
Maß | Unendlich in sich selbst. | Veränderlich. |
Dauer | Ewig, unveränderlich. | Vergänglich, veränderbar. (Schwach, stark, präsent, nicht präsent) |
Ausrichtung | Auf seine Umgebung, keine Unterschiede machend | Auf Aspekte wie z. B. Schönheit und Güte ihres Gegenstands |
Auf den eigenen Genuss und das eigene Besitzen | ||
Sucht nicht das ihre. | Sucht Objekte zur Bereicherung des Lebens | |
Behält nichts zurück. | Ist vorrangig auf den eigenen Vorteil bedacht. | |
Erschafft Wert im Objekt. | Ist abhängig vom Wert des Objekts, sucht nach dem höchsten Wert. | |
Wagt es, ihren Stand zu verlieren. | Versucht, ihren Stand zu verbessern. | |
Aktiv, in Abhängigkeit des äußeren Defizits. | Aktiv in Abhängigkeit des eigenen Defizits. | |
Den freien Willen des anderen respektierend. | Eigene Bedürfnisse haben Vorrang. | |
Agierender | Versucht die Wertschätzung des anderen dadurch zu erreichen, indem es die Umstände unterstützt, die dafür notwendig sind. | Versucht Wertschätzung dadurch zu erreichen, indem es selbst gewisse Bedingungen erfüllt (Legalismus) |
Reagierender | Glaubt dem Agierenden und nimmt das Angebot an. | Annahme abhängig von der Prüfung der Werte des anderen und dessen Würdigkeit für das eigene Leben. |
Für manche erscheint diese Form unendlich realitätsfremd und es ist nur schwer vorstellbar, dass sie in alle Lebensbereiche übertragen und umgesetzt werden kann. Doch sie ist kein Mysterium, sondern kann sich, wenn ihr der entsprechende Raum gelassen wird, entfalten. Sie ist für jeden erlernbar, indem man auf Beziehungen schaut, bei denen sie in voller Reife entfaltet ist.
Auf Kinder wirkt das Vorbild, nicht die Kritik[32]
Durch sein Leben auf der Erde hat uns Jesus in seinen Beziehungen zu den Menschen Agape in Perfektion demonstriert. Am eindrucksvollsten können wir es allerdings an der Beziehung zu seinem Vater erkennen, die uns durch viele Aussagen im Neuen Testament überliefert ist. Sie dient als Vorbild oder Eckstein für jede andere Form von Beziehung, die zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung und zwischen den darin lebenden Wesen untereinander besteht. Welcher Art ist die Liebe, die Gott für Seinen Sohn hat?
Die Bibel verwendet für die Liebe, die der Vater für seinen Sohn hat, ausschließlich das Wort Agape. Diese Liebe offenbart sich darin, dass Gott Ihm, als seinem eingeborenen Sohn, alles in die Hand gegeben hat. Dadurch, dass er ihm alles übergeben hat, ist er mit ihm gleich geworden. Der Sohn ist daher nicht deshalb gleichwertig, weil er genauso große Macht, großes Wissen und Allgegenwart besitzt. Wenn wir glauben, dass der Vater sich wegen dieser innewohnenden Attribute von seinem Sohn angezogen fühlt und sich deshalb mit ihm gleichwertig fühlt, dann ist die reine, selbstlose Liebe verdorben. Gott selbst benötigt niemanden, um zu lieben, denn er ist Liebe.[33] Seine Liebe ist nicht beeinflussbar von den Attributen seines Sohnes, allein die Existenz seines Sohnes macht ihn zum Objekt seiner Liebe. Dadurch, dass er ihm alles gegeben hat, können wir erkennen, dass er ihn liebt.
Nach den Prinzipien, die Jesus bei seinem Vater gelernt hat, gestaltete er die gesamte Schöpfung, bis sie sich von ihm aufgrund selbstsüchtiger Motive abgewendet hat. Jesus kam nicht auf die Erde, um uns für unseren gefallenen Zustand zu verurteilen. Er kam, um uns an diese uns mittlerweile fremd gewordene Realität zu erinnern. Er scheute dabei keine Gefahren, etwas von seiner Herrlichkeit einzubüßen, nur um uns zu zeigen, welche Liebe er und sein Vater für uns haben. Das Muster seines Handels ist beinahe eine Inversion einer von Eros getriebenen Person:
- Er hielt nicht mit Gewalt an seinem göttlichen Wesen fest.
- Er entäußerte sich seiner Herrlichkeit, gab sie freiwillig auf für alle Ewigkeit.
- Er nahm die Gestalt eines Knechtes an.
- Gleich wie andere Menschen.
- Gehorsam bis zum Tod.
- Sogar bis zum Tod am Kreuz.[34]
„He made it his business to get into your business“
Es liegt an uns, ob wir uns von dieser Beziehung inspirieren lassen und dadurch diese Liebe mehr und mehr in unser Leben aufnehmen. Wenn wir diese Liebe anderen gegenüber wahrnehmen und nach den Prinzipien von Agape handeln, werden wir Werte kreieren und durch die entstehende Fülle wird nach und nach jede Art von Mangel der Vergangenheit angehören.
Welches Konzept haben wir heute?
Unsere Welt würde vermutlich nicht mehr so gut funktionieren, wenn sie komplett vom Eros-Konzept durchdrungen wäre. Unsere Beziehungen sind meist eine Mischung aus unterschiedlichen Motiven und Beweggründen.
In einer Umfrage des Portals „Markt Meinung Mensch“ aus dem Jahr 2016 wurden Männer und Frauen gefragt, wie wichtig ihnen Geld in der Beziehung sei. Die Befragten konnten mehrere zutreffende Aussagen ankreuzen. Ein Großteil der Befragten (63%) äußerten, dass es ihnen egal sei, wieviel Geld der Partner hat. Interessanterweise war für um die 40% der Befragten die finanzielle Sicherheit ausschlaggebend und diese wichtiger als das Alter und Aussehen. Vergleichsweise wenige gaben an, dass Geld anziehend mache und attraktiv wirke (jeweils 22%).[35] In einer anderen Studie wurden als wichtigste Gründe für eine Heirat die Liebe (67%) und die Übernahme füreinander von Verantwortung (42%) genannt. Materielle und äußerliche Aspekte wie z. B. Absicherung (23%), Steuerersparnis (20%), das Erwarten von Kindern (15%) oder die Darstellung als äußerliches Zeichen (11%) waren weniger wichtig.[36]
In einem Artikel aus dem Magazin „Gofeminin“ hat es sich der Autor zur Aufgabe gemacht, sieben Dinge zu charakterisieren, die wahre Liebe ausmachen. So wird angeführt, dass wahre Liebe nichts gegen rechnet (1), also nicht darauf achtet, was man erhält oder investiert. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Glücklichsein des anderen. Das zweite Kriterium ist, dass die Liebe nichts erwartet (2) und ihren Partner nicht unter Druck setzt. Auch wenn sie nichts erhält, besteht sie dennoch. Sie möchte den anderen nicht verändern (3) und akzeptiert den anderen mit all seinen Macken und Besonderheiten, so wie er ist. Liebe hat mit Eifersucht und Besitzansprüchen nichts zu tun, im Gegenteil sie verleiht Freiheit (4). Wahre Liebe ist aufmerksam (5) und sieht den ihr gegenüber Stehenden nicht als selbstverständlich an. Sie begegnet ihm mit Respekt (6) handelt nicht unfair und nimmt die Situation nicht als gegeben hin. Außerdem hat wahre Liebe die Bereitschaft zum Nachgeben (7) und damit dem anderen zuliebe gewisse Dinge zu tun und selbst an vielen Stellen bereit sein zu verzichten.[37]
Diese Beschreibung kommt dem Begriff der Agape schon recht nahe bzw. wird man Schwierigkeiten haben, darin das Konzept von Eros zu erkennen. Interessanterweise findet man im Internet hauptsächlich Definitionen von wahrer Liebe, die von Frauen geschrieben wurden oder an Frauen gerichtete sind. Anscheinend scheinen Männer mit dem Thema anders umzugehen oder andere Einstellungen zu haben. Die Gründe dafür verdienen es, an anderer Stelle ausgiebiger diskutiert zu werden.
Die beiden griechischen Begriffe sind sicherlich nicht die
einzigen, auf die man sich beschränken sollte, wenn man ein so wesentliches
Thema wie Liebe erklären möchte. Dennoch hat diese kleine Gruppe von Männern
allen voran Jesus damals ein revolutionäres Konzept in die Welt getragen, das
bisher seines Gleichen in den Überlieferungen der Menschheit sucht. Es hat die
kulturelle Entwicklung der Welt, vor allem die der westlichen, über die
Jahrhunderte maßgeblich beeinflusst und hielt trotz massiver Angriffe bis heute
stand. Gott hat uns eine Liebe gezeigt, in der kein Anzeichen von Eros
enthalten ist, eine Liebe, die von sich aus Liebe ist, nicht das Ihre sucht,
sondern Wert im anderen schafft.
[1] https://www.liebessprueche.me/liebe-ist-sprueche
[2] https://www.fitforfun.de/sex-soul/partnerschaft/liebe-die-5-grossen-fragen-der-liebe_aid_13508.html
[3] Historisches Wörterbuch der Philosophie: Liebe
[4] https://www.duden.de/rechtschreibung/Liebe
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Liebe
[6] https://www.youtube.com/watch?time_continue=120&v=OPhaXMNg_c8&feature=emb_logo
[7] Karl Heinz Deschner
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Platonische_Liebe
[9] https://www.aphorismen.de/suche?f_thema=Liebe&f_autor=2998_Platon
[10] https://gedankenwelt.de/von-der-selbstsucht-zur-selbstliebe-nach-aristoteles/
[11] https://www.quotez.net/german/thomas_von_aquin.htm
[12] https://beruhmte-zitate.de/autoren/immanuel-kant/zitate-uber-liebe/
[13] Jean-Jacques Rousseau „Was ist Liebe?“ aus dem Reclam Verlag
[14] https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=3899_Leonardo+da+Vinci&f_thema=Liebe
[15] Sprüche 16:9
[16] https://studybuddhism.com/de/grundlagen/was-ist/was-ist-liebe
[17] https://gedankenwelt.de/was-liebe-laut-dem-buddhismus-ist/
[18] Caitanya Caritamrita Madhya 19.149
[19] http://iskcon.de/iskcon-deutschland-oesterreich/lebendige-philosphie/das-zeil-des-lebens/
[20] https://islamaufdeutsch.de/sufismus-tasawwuf/1614-ma-habba-liebe
[21] Experten der einzelnen Disziplinen werden eventuell der Meinung sein, dass die bisherigen Ausführungen zu den philosophischen und religiösen Weltanschauungen nicht den einzelnen Meinungen in ihrer Gesamtheit gerecht werden. Dieser Artikel möchte auf keinen Fall eine bestimmte Richtung in ein falsches Licht stellen oder kritisieren, sondern vielmehr prinzipielle Aspekte für eine übergeordnete Sichtweise aufgreifen. Sollte einer Richtung nicht adäquat genüge getan worden sein, sind wertvolle Anmerkungen jederzeit willkommen.
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Eros_(Philosophie)
[23] https://de.wikipedia.org/wiki/Philia
[24] Römer 5:7-10
[25] Gott, der Allmächtige: Kraft, Weisheit, Heiligkeit und Liebe’, D. Bloesch, 2006, S. 147 von http://heart4truth.de/blog/page/5/?cat=8
[26] Matthäus 5:46-47
[27] http://maranathamedia.de/article/view/aufruf-an-pastor-dwight-nelson
[28] 2. Korinther 5:14-15
[29] Epheser 3:18,19
[30] Römer 13,10
[31] Jesaja 13:12
[32] Heinrich Tiersch
[33] 1. Johannes 4:16
[34] Philipper 2:5-8
[35] http://www.marktmeinungmensch.de/studien/geld-oder-liebe-einfluss-von-finanziellen-aspekten/
[36] https://de.statista.com/infografik/18288/einstellung-der-befragten-zum-heiraten/
[37] https://www.gofeminin.de/liebe/wahre-liebe-s2138184.html